Die geschichtliche Dimension des Drogenproblems in der Moderne widerspricht der These von der problemgenerierenden Wirkung eines freien Drogenmarktes, der es den Bürgern überlässt, ob, wie und wozu sie welche bewusstseinsverändernden Substanzen zu sich nehmen. Als Drogen (bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts) ähnlich wie andere Waren relativ frei hergestellt, ver- und gekauft werden konnten, war das Drogenproblem so gering, dass es noch nicht einmal einen Namen hatte. Das Drogenverbot, durch welches die Drogen vom Markt verdrängt wurden, war nicht etwa eine Reaktion auf ein existierendes Drogenproblem, sondern Auswirkung geopolitischer Strategien und ging der Entstehung eines Drogenproblems in Deutschland (und anderswo) voraus. Wissenschaftliche Analysen sprechen dafür, dass das Drogenverbot das Problem sogar erst in seiner Entstehung begünstigte und in seiner Intensität verschärfte. Die Behauptung, das Drogenproblem der Gegenwart sei auf eine übertriebene Auslieferung der Drogen an den Markt und an die instrumentelle Nutzung der Bürger zurückzuführen, kann also nicht überzeugen.
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Die Drogenpolitik in den modernen Industrienationen scheint im Gegensatz zu anderen Politikbereichen resistent zu sein gegenüber sozialem Wandel und erneuerten Formen des Regierens (governance). Wo sonst könnte es vorkommen, dass man ein Jahrhundert lang stur an der Richtigkeit der Befunde und Überzeugungen aus der Gründerzeit festhält, alle berechtigten Forderungen nach einer wissenschaftlichen Evaluation der Leitlinien, Umsetzung und Auswirkungen dieser Politik in den Wind schlägt und kein Iota von der einmal definierten Linie abweicht, obwohl das einst auf kleine Bevölkerungskreise in einer einzigen Weltregion begrenzte Problem nach einem Jahrhundert intensivster Bekämpfung sich über die ganze Welt verbreitet hat, Hunderte von Millionen von Menschen betrifft, die sich so viel von immer mehr und neuen Drogen versprechen, dass sie sich in ihrem Konsumwunsch nicht einmal von den weltweit strengen Strafandrohungen abhalten lassen, und ganze Länder zerreißt. Mit dem Hang der Moderne zu rationaler Analyse und kühler Reflexion von Zweck-Mittel-Verhältnissen hat jedenfalls die Politik der Drogenbekämpfung im Gegensatz zu fast allen anderen Politikfeldern nichts zu tun. Aus der Moderne selbst heraus lässt sich dieser rätselhafte Sonderstatus der Drogenpolitik nicht erklären.
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